Optische Täuschungen als Mittel der Fotografie

Optische Täuschungen als Mittel der Fotografie

Optische Täuschungen interessieren Menschen seit jeher. Mit der Erfindung der Fotografie erlebten Illusionen eine Renaissance. Schon in der Bildhauerei und Malerei waren Ansätze von dreidimensionalen Räumen zu erkennen. Im letzten Jahrhundert ging man dazu über, diese Illusionen zu verstehen. Gerade optische Täuschungen, die den Sehsinn betreffen, spielen in der Wahrnehmungstäuschung eine besondere Rolle. Die menschlichen Augen nehmen zweidimensionale Bilder der Umwelt wahr. Trotzdem hat man das Gefühl, dreidimensional sehen zu können. Vor allem für die Fotografie ist die Relativität des Blickwinkels von Bedeutung.

Wie entstehen optische Täuschungen?

„Illusionen entstehen, wenn unser Gehirn versucht, die Zukunft zu erkennen, das Ergebnis aber nicht mit der Realität übereinstimmt“, erklärte Mark Changizi einst. Er ist Forscher auf dem Gebiet der Computational Neuroscience (computergestützte Hirnforschung). Es klingt ein bisschen verrückt, aber Wissenschaftler wie Changizi haben herausgefunden, dass Menschen in die Zukunft sehen können – zumindest für den Bruchteil einer Sekunde. Dieser Effekt ist auch unter neuronaler Verzögerung bekannt. Wenn Licht auf die Netzhaut unseres Auges trifft, dauert es etwa eine zehntel Sekunde, bevor unser Gehirn das Signal in eine dreidimensionale Umgebung übersetzt. Changizi hat darauf aufbauend herausgefunden, dass unser Gehirn versucht, diese neuronale Verzögerung zu kompensieren. Dabei produziert es Bilder von dem, was in einer zehntel Sekunde in der Zukunft passieren könnte. Konvergierende Linien lassen unser Gehirn zum Beispiel denken, dass wir uns vorwärtsbewegen. Dieser Mechanismus erklärt auch, warum wir von optischen Illusionen getäuscht werden.

Die erzwungene Perspektive

Viele dreidimensionale geometrische Objektive werden bei einer Fotografie auf eine zweidimensionale Ebene gebannt. Dabei entstehen Verzerrungen, die zu einer illusionistischen Raumorganisation führen. In der Architekturfotografie werden optische Täuschungen als Stilmittel verwendet, um z.B. optische Vergrösserungen zu erreichen und ein Bauwerk monumentaler wirken zu lassen.

Potemkinsche-Treppe-in-Odessa

Die erzwungene Perspektive ist demnach eine optische Täuschung. Dimensionen scheinen verkürzt und führen Betrachter in die Irre. Wichtige Gegenstände für eine gelungene Illusion sind das Objekt, die Kameraposition und der Standpunkt des Betrachters. Für eine plausible Täuschung, die nicht leicht zu durchschauen ist, sollten vorher ein paar Überlegungen angestellt werden. Am wichtigsten ist die Frage nach dem darzustellenden Objekt bzw. den Objekten.

Zum besseren Verständnis soll das am Beispiel des schiefen Turms in Pisa erklärt werden. Beliebte Motive zeigen, wie sich Menschen mit einer Hand an dem Turm abstützen oder ihn sinnbildlich vorm Umfallen retten. In unserem Beispiel wirkt es so, als ob der Turm in beiden Händen gehalten werden könnte. Hierbei wird sich der Effekt zunutze gemacht, dass der Turm auf dem Foto wesentlich kleiner erscheint, als er in Wirklichkeit ist. Das funktioniert solange, wie die Kamera nicht nach unten geneigt wird. Denn dadurch würde sich der räumliche Abstand der beiden Objekte zueinander offenbaren und der Betrachter würde erkennen, dass die beiden Objekte nicht nebeneinanderstehen. In Anbetracht der Grösse des Turms ist das aber eher nebensächlich. Generell gilt für erzwungene Perspektiven aber: Eine neutrale oder positive Kameraausrichtung ist besser. Mit diesen Ausrichtungen ist es auf Fotografien schwerer, räumliche Tiefen zu erkennen, da die Objekte ihre dritte Dimension (Tiefe) nicht „verraten“.

Frau-hält-schiefen-Turm-von-Pisa

Im Alltag begegnen uns aber noch mehr optische Illusionen. In der Architekturfotografie sind beispielsweise stürzende Linien von Bedeutung. Jedem, der schon einmal nahe vor einem Hochhaus stand, dürfte es aufgefallen sein. Auf einem Foto verjüngen sich die Kanten des Hauses nach oben hin oder es scheint nach hinten zu kippen. Das liegt an dem quadratischen Fotosensor. Diese Verzerrung kann mit Tilt-Shift Objektiven vermieden werden.

Optische Täuschungen mit der Brennweite

Auch mit unterschiedlichen Brennweiten lässt sich tricksen. Dabei kann das relative Verhältnis von Vordergrund zu Hintergrund variiert werden. Ein kleines Beispiel: Ausgangspunkt stellt ein mit 18 mm Brennweite festgehaltenes Motiv dar. Nun entfernt man sich vom Vordergrund, denn man möchte das dortige Objekt gleich gross beibehalten. Mit zunehmender Brennweite bemerkt man, dass bei gleicher Grösse des Vordergrundobjekts das Hintergrundobjekt immer weiter nach vorne zu rücken scheint – der Abstand zwischen beiden Objekten also optisch kleiner wird. Dieser Effekt wird auch als Vertigo-Effekt beschrieben.

Optische Täuschungen können in der Fotografie vielseitig eingesetzt werden – Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Egal, ob Sie die Sonne in den Händen halten oder den schiefen Turm von Pisa stützen.

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